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Liegt Tesla die Zukunft des Automobilmarktes zu Füßen?

Tesla ist an der Börse erstmals mehr wert als BMW. Ist das schon gleichbedeutend mit einem Wachwechsel in der Mobilitätsbranche? Ein Pro & Contra.

Pro: Mehr als nur eine Wette

Tesla ist an der Börse erstmals mehr wert als BMW. Die Digitalexperten aus Kalifornien sind auch besser für den Mobilitätsmarkt der Zukunft gerüstet, sagt Franz Hubik. Elon Musk kifft vor laufender Kamera, futtert offenbar Schlaftabletten wie andere Gummibärchen und twittert fragwürdige Aprilscherze („Tesla goes bankrupt“) sowie Falschbehauptungen („funding secured“). Keine Frage: Zügelt sich der umtriebige Unternehmer nicht alsbald, ist er als CEO eines börsennotierten Unternehmens untragbar. Gleichwohl sollte niemand den Fehler begehen, von den Eskapaden des Chefs auf den Zustand des Elektroautobauers Tesla zu schließen.

Dass Tesla an der Börse seit Wochenbeginn rund eine Milliarde Euro mehr wert ist als BMW, hat einen simplen Grund: Die Kalifornier sind für die Mobilitätswelt der Zukunft weit besser aufgestellt als die heimischen Autobauer. Das beginnt schon beim Vertrieb.
Während das deutsche Vorzeigetrio BMW, Daimler und VW den Verkauf seiner Modelle nach wie vor weitgehend über seine Handelspartner abwickelt, spart sich Tesla die Intermediäre. Konfiguriert und bestellt werden Model S und Model 3 online. Der Vorteil: Die Stromrevoluzzer kommen nicht annähernd auf einen Kostenanteil von bis zu 30 Prozent für Vertrieb und Distribution, wie er bei etablierten Autobauern mit angeschlossenen Verkaufs-Glaspalästen noch Usus ist.

Tesla spart durch den Direktvertrieb aber nicht nur reichlich Geld, sondern sichert sich so auch die Hoheit über die Daten. Die etablierten Fahrzeughersteller müssen sich dagegen um die Kundenschnittstelle prügeln. Heute mag das noch nicht so von Belang sein. Schließlich steht der Verkauf von Autos, Komponenten und Ersatzteilen aktuell für 99 Prozent der Branchengewinne.
Doch dieses Kerngeschäft bricht in den nächsten beiden Jahrzehnten dramatisch ein. 2035 wird die Branche schon 40 Prozent ihrer Erträge über Mobilitätsdienste erwirtschaften. Und im Zeitalter der digitalen Plattformökonomie ist Tesla mit seiner Softwareexpertise den deutschen Autobauern überlegen.

Für die Börse spielt es keine Rolle, wie viel Verlust die Kalifornier in den vergangenen 15 Jahren angehäuft haben. Was zählt, ist der Cashflow von morgen. Und da gibt es im Silicon Valley mehr Grund zur Zuversicht als in München, Stuttgart und Wolfsburg. Abschreiben sollte man BMW, Daimler und VW zwar keineswegs. Aber Transformationen in anderen Branchen zeigen: Es ist unrealistisch, dass die dominanten Konzerne von heute auch diejenigen von morgen sein werden.

Contra: Die unterschätzte Kraft von BMW

Die Zukunft in der Autoindustrie gehört nicht den forschen Newcomern, sondern den finanz- und forschungsstarken Konzernen wie BMW, argumentiert Ulf Sommer. Wer sich die BMW-Aktie anschaut, sieht ein Abbild des Grauens: minus 13 Prozent in den vergangenen drei Monaten, minus 40 Prozent seit dem Frühjahr 2015. Dabei verdiente BMW im vergangenen Jahr unter dem Strich 8,6 Milliarden Euro – so viel wie nie. Doch Anleger argwöhnen, dass die besten Zeiten vorbei sind, weil BMW, wie im Übrigen auch VW und Daimler, zu lange an Benzin und Diesel festhält. Weil Börsen nicht die Gegenwart honorieren, sondern auf die Zukunft spekulieren, zählt die BMW-Aktie zu den preiswertesten im Dax.

Bei Tesla ist es genau umgekehrt: Wer auf den Börsenkurs schaut, frohlockt. Wer aber in die Bilanz der Amerikaner blickt, der sieht das Grauen. In nur fünf Jahren stieg die Verschuldung von 443 Millionen auf 10,1 Milliarden Euro, die Eigenkapitalquote schmolz von 30 auf 15 Prozent, der Nettoverlust vergrößerte sich von 30 Cent auf knapp 5,5 Euro – je Aktie wohlgemerkt.

Die Nettoverschuldung übersteigt das Eigenkapital um 50 Prozent. Das klingt nach Untergang. Doch die Börse spekuliert auf die Zukunft, auf einen Weltmarktführer, der mit seinen Elektroautos Milliarden verdienen wird. Möglich ist das, aber unwahrscheinlich.
Die Finanzkraft von BMW und Co. ist enorm. Quartal für Quartal erhöhen die Münchener ihre Ausgaben für Forschung und Entwicklung: in den vergangenen neun Monaten um 11,5 Prozent auf 3,9 Milliarden Euro. Das ist mehr, als Tesla je verdient hat. Keiner weiß, ob sich die Investitionen in Elektromobilität und andere alternative Antriebe jemals rechnen. Doch die Vorstellung, dass künftig allein Tesla mit Elektroautos viel Geld verdienen wird, BMW aber nicht, die ist absurd. Von wem lassen sich gute Ingenieure, Informatiker und Mathematiker wohl am ehesten locken? Von einem Arbeitgeber wie BMW, der in der Hitliste der beliebtesten Arbeitgeber bei Absolventen ganz oben steht? Oder von Tesla, dessen Existenz unangemessen stark von einem exzentrischen Workaholic abhängt, der offenbar seine Mitarbeiter nicht nur zu Höchstleistungen anspornt, sondern auch drangsaliert, der seinen Medikamentenmissbrauch kaum verheimlicht, der seine Firma an einem Tag von der Börse nehmen wollte, sogleich einen Rückzieher machte – und deshalb seinen Aufsichtsratsposten räumen musste.

Im Zweifel kaufe ich mein Elektroauto lieber ein Jahr später, dafür aber ausgereift. Tesla ist nicht das erste Unternehmen, dessen Gründer überschätzt und das am Ende von der vermeintlich so trägen, aber finanzstarken Konkurrenz überholt wird.

 

Quelle: Handelsblatt